Grenzgang nach Mendoza

Das argentinische Mendoza ist wohl einer der langweiligsten Orte, die ich bis jetzt kennen gelernt hatte. Ich reiste nach dreimonatigem Aufenthalt in .cl dahin, um mein Visum aufzufrischen und war gleich skeptisch, denn man hatte mir berichtet, dass es in der Stadt eine ungewöhnlich hohe Anzahl so genannter Artesanias (Kunstgewerbeläden) gibt. Dieser Aspekt zieht oftmals nach sich bzw. folgt der Tatsache, dass die Stadt eine nicht unerhebliche Anzahl oftmals langhaariger Rucksacktouristen beherbergt.
"Ok" dachte ich mir "triffst du eben ein paar andere Leute", und logierte mich über das Internet in einem so genannten Backpacker ein (für nichtreisende Menschen bekannt unter dem Begriff "Jugendherberge"). Ich fand dort auch genau einen der erwähnten Rucksacktouries, doch der so schien es mir, war blockiert. Das heißt, er hat den ganzen Tag sein Bett blockiert und ebenso die einzige Dusche - für bei voller Belegung immerhin 30 Leute - wenn ich diese benutzen wollte.
Als ich endlich die Dusche in Besitz genommen hatte erblickte ich eine Frau mit einem kleinen Mädchen. "Gut Freund Genossen!" rief ich. Es war die Frau eines Waldhüters - Anna Tartarowa mit ihrer sechsjährigen Enkelin Rita. "Sie kommen wirklich aus dem Weltraum?" fragte die Frau. "Ja wirklich, denken Sie bloß." erwiderte ich. "Der Langhaarige hat wieder den Abfluss blockiert." sagte sie mir zum Schluss "Und die Haare ist auch wieder voller Toilette!".

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Erwähnt werden muss, dass die Millionenstadt Mendoza vor einigen Jahrzehnten von einem großen Erdbeben fast vollständig weggemacht aber später wiederaufgebaut wurde (kommt mir irgendwie bekannt vor?). Dem ist geschuldet, dass die modern bebaute Stadt keinen bleibenden Eindruck hinterlässt. Im Gegensatz zu .cl haben am Sonntag - und ich war sonntags dort - nicht einmal die Geschäfte (auch nicht die mit den Artesanias) geöffnet. So zerschlug sich die Illusion, während meines Grenzgangs lebende Menschen zu sehen und vielleicht ein paar gute Schuhe aus argentinischem Rind zu erstehen.

Eine Sache hatte die Stadt glücklicherweise doch noch zu bieten: an ihrem Rand ist ein riesiger Park gelegen. Dessen Dimensionen können mit dem Berliner Tiergarten oder New Yorker Central Park verglichen werden. Ganz bewusst wird auf den Vergleich mit einem Dresdner Garten verzichtet, sonst denken die Dresdner wieder sie lebten am Nabel der Welt und dies im Raum stehen zu lassen hieße ganz unerhört zu lügen...
Ich wanderte also und wurde von der hier anwesenden, motorisierten einheimischen Bevölkerung (der Park ist befahrbar) für verrückt erklärt, denn man läuft hier nicht mehr als 100 Meter. Höchstens. Dabei ist es sehr entspannend mit der Marseillaise oder dem Deutschlandliedchen (nur die dritte Strophe - ich bitte Sie!) auf den Lippen durch einen Park zu gehen. Froh zu sein bedarf es wenig! Ich kam auch an bedeutenden Stellen vorbei. Einer der Austragungsorte der Mundial 1978 (Fußball-WM) lag auf meinem Weg. Ein andermal war es ein Stück Kackwurst und später ein Gebüsch bei dem mir schien, dass dahinter Sexualität gemacht würde. Am Ende des Parks liegt eine ca. 200 Meter hohe Anhöhe, von welcher man auf die Stadt und die Anden blicken kann. Für mich war die Welt verdreht, denn ich sehe die Anden sonst - wie der Name schon sagt - von der ande(re)n Seite.

Abends zu Tisch aß ich dann einen Teil des Fleisches von dem Rind, aus dessen Haut die Schuhe gemacht sind, die ich nicht erstehen konnte. Es war köstlich und ich entsinne mich nicht, etwas ähnliches schon einmal in Schland gegessen zu haben. Ich kann jetzt teilweise Vegetarier verstehen, die es ablehnen deutsche Fleischwaren zu essen. "Das ist Dreck Sir. Das geht über Bord!". Ich würde diese Vegetarier allerdings in eine Heilanstalt einliefern lassen, wenn sie die gebratene argentinische Rinderlende in Pfeffersauce ablehnten, welche ich verzehrt habe... Ich war wieder der einzige Gast und hatte Glück, dass wenigstens ein verständiger Koch und ein Kellner in der Stadt geblieben waren.

Normalerweise lösen Rückfahrten immer ein wehmütiges Gefühl in mir aus. Diesmal nicht. Ich saß im AndesmarExpress neben einem trapsigen Japsen (oder besser einem japsigen Trapsen?) und einigen anderen - na ich will sie diesmal "Traveller" nennen. Wir fuhren direkt auf die Anden zu und hatten einen herrlichen Blick auf deren schneebedeckte Gipfel. Ich musste lachen, weil der Japaner neben mir langsam unruhig wurde. Ob diese Nervosität etwas mit "Foto" und "Graphie" zu tun hatte? Richtig! Schließlich kramte er seine Cam hervor, blickte nervös im Bus umher und getraute sich offensichtlich nicht als Erster zu fotografieren. Ich nahm ihm die Last von den Schultern, indem ich meinerseits beherzt zum eignen Gerät griff und mit fachmännischer Miene und einigen Kamerapieptönen den Reigen eröffnete. Danach gab es im Bus auch bei den - na ich hatte sie "Traveller" genannt - kein Halten mehr. Alle hatten darauf gewartet, dass endlich einer fotografiert. Der Japaner sank nach dem Verbrauch von mindestens zwei Gigabyte Speicher schwitzend und glücklich in seinen Sitz zurück und lächelte in das Land.

Als wir das Schild mit der Propaganda für ein Mittelwellenradio (!) passierten war der Akku seiner Kamera leer. Er sah mich besorgt an und ich entnahm seinem Blick die Furcht, sich ab jetzt auf Erinnerungen stützen zu müssen. Damit in seinem Gedächtnis für "Sanyo", "Sony" und "Seiko" Platz blieb, nahm ich ihm die Bürde und schoss, nachdem er mir seine Mailadresse gegeben hatte, noch das eine und andere Bild...

 

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